"Ich aber werde dunkel sein..." Leben und Werk des Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)

Etwa 7 Fußstunden von Fort Louis, wohin er mit seinem Regiment versetzt worden war, lag die 1000-Seelengemeinde Sesenheim. Lenz kam schon kurze Zeit nach seiner Ankunft dahin. Vermutlich Ende Mai 1772 besuchte er das erste Mal die gastfreundliche Familie des Gemeindepfarrers Brion. Es war die Liebe zu einer der vier Töchter Brions, die Lenz in den folgenden Monaten immer wieder nach Sesenheim führte. Lenz schreibt vom Besuch in Sesenheim an den Freund und Mentor Daniel Salzmann in Straßburg: "Es ist mir, als ob ich auf einer verzauberten Insel gewesen wäre." Die Liebe stand unter keinem guten Stern. Die gleichaltrige Friedericke war erst kurze Zeit zuvor von Goethe unglücklich verlassen worden. Lenz wie Goethe waren von der scheinbar ländlichen Idylle in Sesenheim fasziniert. Für beide stand Friedericke im Mittelpunkt. Doch während Goethes Zuneigung erwidert wurde, nahm Friedericke Lenz und seine Gefühle nicht ernst.

Trotzdem sind die Ausflüge zu Friedericke für Lenz auch eine willkommene Abwechslung im tristen Soldatenalltag in Fort Louis. Lenz wird erstmals seit Königsberg wieder lyrisch produktiv. Seine Arbeiten am "Hofmeister" und den "Soldaten" ruhen für diese Zeit, statt dessen verfaßt er Gedichte auf Friedericke. Sowohl für Goethe wie auch für Lenz war die Begegnung mit Friedericke Brion ein Wendepunkt in ihrer dichterischen Entwicklung. Beide finden in Sesenheim ihren eigenen Ton.

Das Pfarrhaus in Sesenheim. Rötelzeichnung von Goehte, 1770/71

Goethe legt das Rokokohafte der Leipziger Gedichte ab und entwickelt in den Sesenheimer Liedern seine neue Auffassung von der Natur. Während die Aufklärer vor allem ein Bild der erhabenen Natur zeichnen, besingt Goethe die Natur als schöne Natur, als Spiegel der Seele. Statt Gefühl nur nachzuahmen, wird das Gedicht nun zum Ausdruck des Gefühls.

M it Lenzens Sesenheimer Gedichten, die ein Jahr später entstehen, ist es ähnlich. Lenz ersetzt den schwerfälligen Rhythmus seiner frühen Lyrik duch einen neuen, lebendigeren, die relgiösen Themen verschwinden.

Die Sesenheimer Lyrik ist ohne die Klopstockschen Oden nicht denkbar. Wesentliche Impulse geben auch Herders Liedersammlungen. Auch Lenz und Goethe sammeln Volkslieder aus dem Elsaß.

Lange Zeit wurde Sesenheim ausschließlich mit Goethe assoziiert. Deshalb schrieb die Forschung noch bis vor kurzem einige Lenz-Gedichte Goethe zu.
 
Wo bist du itzt, mein unvergeßlich Mädchen,
Wo singst du itzt?
Wo lacht die Flur? wo triumphiert das Städtchen
Das dich besitzt?

Seit du entfernt, will keine Sonne scheinen
Und es vereint
Der Himmel sich, dir zärtlich nachzuweinen
Mit deinem Freund

All unsre Lust ist fort mit dir gezogen
Still überall
Ist Stadt und Feld - Dir nach ist sie geflogen
Die Nachtigall

O komm zurück! Schon rufen Hirt und Herden
Dich bang herbei.
Komm bald zurück! sonst wird es Winter werden
Im Monat Mai.
Eines der Gedichte, die Lenz den Briefen an Friedericke beilegte. Irrtümlich im 19. Jh. Goehte zugeschrieben.


Friedericke Brion. Silberstiftzeichnung von J.F.A. Tischbein


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