Im Herbst des Jahres 1774 erschien Goethes Briefroman "Die
Leiden des jungen Werthers" in der Weygandschen Buchhandlung in Leipzig.
Die Veröffentlichung des autobiographischen Buches datiert den Beginn
der modernen deutschen Prosa. Der Dichter, der mit diesem Werk schreibend
seine unglückliche Liebe zu Charlotte Buff zu überwinden suchte,
schuf mit dem "Werther" einen neuen Figurentypus, der zur Indentifikationsfigur
für viele Literaten und Rezipienten der "Sturm-und-Drang-Zeit" wurde.
Diese Begeisterung ging so weit, daß sich junge Männer nach Werther-Art
kleideten: dunkelblauer Frack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, Lederbeinkleider,
Stulpenstiefel. Aber auch kritische Stimmen meldeten sich zu Wort. Es entbrannte
eine heftige Debatte, ob der "Werther" eine euphemistische Verteidigung
des Selbstmords sei. Zeitgenössische Werther-Darstellung
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Jabob Lenz, der das Buch seines Freundes über alle Maßen
schätzte und diesen als "Bruder" und "zweites Ich" verehrte, verteidigte
mit Hingabe den Goetheschen Roman. Wichtigstes Zeugnis dafür sind seine
"Briefe über die Moralität der Leiden des jungen Werthers". Sie
dürften Anfang 1775 niedergeschrieben worden sein, nach dem Erscheinen
von Friedrich Nicolais Parodie "Die Freuden des jungen Werthers", gegen
die Lenz entschieden polemisierte. Die Form des Literaturbriefes als Literaturkritik
folgte dem Geschmack der Zeit. Lenz wollte diese Briefe nicht ohne das Einverständnis Goethes veröffentlichen und schickte ihm das Manuskript zu. Goethe leitete es an Friedrich Heinrich Jacobi weiter. Dieser riet von einer Veröffentlichung ab und so unterblieb der Druck. Lenz beschränkte sich seinerseits darauf, die "Briefe" in der Straßburger Gesellschaft am 1. März 1776 vorzutragen. Das Manuskript galt lange Zeit als verschollen. 1918 wurde es in Münster wieder aufgefunden. Es handelt sich um insgesamt zehn Briefe an einen fiktiven Adressaten. Lenz geht in ihnen weit über die Verteidigung des "Werther" und seines Verfassers hinaus. Aus der Ablehnung einer von der Aufklärung favorisierten didaktischen Literaturkonzeption entwickelte er eine den "Sturm-und-Drang-Idealen" adäquate Kunstkonzeption. Die Hoffnung, diese Ideale im Ansatz verwirklichen zu können, war ein Grund von Lenz, 1776 nach Weimar zu gehen. Hier entstand in Berka ein weiteres Zeugnis dafür, wie wichtig Goethes Buch für Lenzens Schaffen war: Der Fragment gebliebene und erstmals von Schiller publizierte Briefroman "Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden". |
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