"Ich aber werde dunkel sein..." Leben und Werk des Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)

Von August bis Anfang November 1777 hält sich Lenz nach Wanderungen in den Schweizer Bergen bei Lavater in Zürich auf.

Mittellos und verschuldet findet er Unterkunft bei Kaufmann und seiner Braut Elise Ziegler. Sie nehmen ihn mit nach Schloß Hegi, wo Elises Vater Landvogt ist, dann nach Winterthur zu Kaufmanns Eltern. Von dort bricht Lenz wieder zu einer Wanderung auf. Seine Freunde nutzen die Zeit:

Lieber Herr Gaupp!
Mein Geliebter ist heut nach Luxenburg in's Thurgäu gereist - Lenz gestern nach St. Gallen - nun sahen wir seine Sachen durch - sezten diese Liste auf - und dachten sie einigen unserer nächsten, still handelnden und wandelnden Freunden zu senden, was wir nicht ganz thun können, sie bestmöglich dazu verhelfen - Wer den Edlen, guten Jüngling kennt und liebt, trägt gewiss gern etwas zu seiner Ruhe bey - so ist er noch immer gedrückt, dass in die läng' auch sein Moralischer Character sehr darunter litte - und sie werden sehen, wie Ruhe und stille Befreiung von sorgen Herrliche Wirkungen in ihm hervorbringen.
Thun sie, lieber Gaupp, in stiller Stille, was sie können - für sich für einen Edlen bekannten - bey andern für einen Edlen unbekannten - Gott ist Dank und Lohn. Lenz soll nicht das Mindeste Erfahren - um aller Liebe willen still. Adieu. Lieber Gaupp -
den 29. November 77.
E.K.
Abschrift eines Briefes von Elisabeth Zingler an E. Gaupp. Er gibt Auskunft über die materielle Notlage Lenzens im Spätherbst 1777, die entscheidenen Einfluß auf die Verschlechterung seiner Gemütslage gehabt haben dürfte.

Christoph Kaufmann fügt dem Brief eine detaillierte Inventarliste des Freundes bei:
(Von Kaufmanns Hand geschrieben:)
"Für sehr wenige in der Nähe"
1 1/2 Duzz. Hemden, alte und neue (fehlt die Hälfte)
1 Duzz. Cravatten (  "      "      "   )
1/2 Duzz. Halstücher (  "      "      "   )
1/2 Duzz. leinene Strümpfe (  "      "      "   )
1/2 Duzz. wollene und baumw. Str. (mangelt fast ganz)
4 paar weiss seidene Strümpfe (sind da)
2 paar schwarz seidene Str. (mangeln)
1 Garnitur messingne oder stählerne
   Schnallen und Handknöpfe (mangelt)
2 Paar Handschuhe (sind da)
1 schwarzer Hut (ist da)
1 gefärbter Hut (wird angeschafft)
1 Duzz. Schnupftücher (mangelt ganz)
4 Waschtücher (mangeln)
2 paar Schuhe (fehlt 1 Paar)
1 paar Stiefel (mangelt)
1 paar Pantoffel (mangelt)
1/2 duzz. Kappen für Tag (fehlt ganz)
   und Nacht
1 Schlafrock und Schlafwams (mangelt)
3 Kleider (2 alte verbessert,
1 neues mangelt)
1 Überrock (mangelt)

Im November 1777, in Winterthur, muß mit Lenz etwas passiert sein:

Lenzens Unfall weis ich seit Freitag von Mecheln. Gott wolle dem armen Menschen beistehen. Ich gestehe dir, daß diese Begebenheit weder mich noch meine Lerse sonderlich überraschte. Ich hoffe aber doch, der gute Lenz werde wieder zurecht kommen und dann sollte man ihn nach Hause jagen oder ihm einen bleibenden Posten ausmachen...
Pfeffel an Sarasin am 24.11.1777

Wie sehr bedaure ich Lenzen. Aber so gehts, wenn man sein ora et labora vergißt. Wenn er nun wieder in Bau und Ehren gestellt ist, so sollte der Kavalier einen Beruf wählen, dessen er warten müßte...
Sarasin an Lavater am 6.12.1777

Lenzen müssen wir nun Ruhe schaffen, es ist das einzige Mittel ihn zu retten, ihm alle Schulden abzunehmen und ihn zu kleiden.
Antwort von Lavater
  Christoph Kaufmann, Kupferstich von J.H. Lips, 1777
Christoph Kaufmann, Kupferstich von J.H. Lips, 1777

Christoph Kaufmann wurde am 14.08.1753 in Winterthur geboren. Der junge Schweizer machte zum ersten Mal in Straßburg auf sich aufmerksam, als er mit drei gleichgesinnten Freunden eine Schrift über neue Erziehungsmethoden verfaßte, die unter dem Namen "Philantropische Aussichten redlicher Jünglinge" von Isaac Iselin 1775 veröffentlicht wurde.

Nach kurzem Aufenthalt in Winterthur Ende 1775 besuchte Kaufmann Lavater, Iselin und Schlosser, die ihm allesamt wohlwollend gegenüberstanden. Als Kaufmann in der Mitte des Jahres 1776 von Basedow gebeten wurde, an das Dessauer Philantropin zu kommen, begann seine denkwürdige Reise. Wo er auch hinkam, überall waren schon Empfehlungsschreiben (vor allem von Lavater) da, die seine Fähigkeiten und seine Person beinahe ins Göttliche erhoben. Durch sein selbstbewußtes, Aufsehen erregendes Auftreten machte Kaufmann sowohl an den Fürstenhöfen als auch bei vielen deutschen Dichtern (u.a. bei Goethe) einen tiefen Eindruck. In ihm wurde ein Mann der Tat, ein "Stürmer" und "Dränger" im wirklichen Leben gesehen. Man nannte ihn "Seher Gottes", "Gottes Spürhund", "Kraftapostel". In der Literaturwissenschaft verschaffte er sich ein bleibendes Denkmal, indem er Klinger 1776 vorschlug, dessen Drama "Wirrwarr" den Titel "Sturm und Drang" zu geben und so einer ganzen literarischen Epoche den Namen verlieh.

Als Kaufmann, nachdem er dem Philanthropin in Dessau wichtige finanzielle Unterstützung besorgt hatte, im Herbst 1776 die Stadt wieder verließ, begann seine große Irrfahrt quer durch Deutschland bis nach Rußland (wo er übrigens auch Lenzens Eltern besuchte), die die entscheidende Wende in seinem Leben brachte. Seine Freunde und begeisterten Anhänger merkten schnell, daß die versprochenen Taten nicht folgten bzw. kläglich scheiterten.

Ende 1777 kehrte Kaufmann in die Schweiz zurück. Anfang Februar 1778 heiratete er Elise Ziegler und versuchte ein ruhiges, ländliches Leben zu führen. Doch auch dabei scheiterte Kaufmann. So nahm er, sich in argen finanziellen Nöten befindend und auch von den letzten Freunden (Lavater hatte ihn noch lange in Schutz genommen) verlassen, das Angebot von Curt von Haugwitz wahr und zog Ende 1781 mit seiner Familie nach Schlesien. Dort bemühte sich Kaufmann in seinen letzten Lebensjahren stetig um die Aufnahme in die Herrnhuter Brüdergemeinde. Nach über zehnjähriger Arzttätigkeit starb Christoph Kaufmann am 21. März 1795 völlig überraschend in Herrnhut.


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