Es ist wenig bekannt, daß Friedrich Schiller mehrfach
Interesse für Lenz bekundete. Als Herausgeber der "Horen" und des "Musen-Almanachs"
mußte er bestrebt sein, seinen Lesern regelmäßig literarische
Neuigkeiten zu präsentieren. Am 25. April 1796 bat er Cotta, für
ihn in Leipzig die Stücke "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" zu besorgen.
Dieser Wunsch zeigt, daß Schiller über Lenz im Bilde war, denn
er ließ sich nicht irgendwelche Texte kommen, sondern dessen bedeutendste
Dramen. Die Lektüre mußte ihn zu der Absicht geführt haben,
künftighin weitere Werke des vor wenigen Jahren verstorbenen Autors
vorzustellen. So wandte er sich am 17. Januar aus Jena an Goethe: "Fällt
Ihnen etwas von der Lenzischen Verlassenschaft in die Hände, so erinnern
sie sich meiner. Wir müssen alles was wir finden, für die 'Horen'
zusammenraffen." Goethe reagierte schnell, auch wenn er versuchte, Schiller
von seiner Lenz-Euphorie abzubringen. Am 1. Februar hieß es beiläufig:
"Auch einige Lenziana liegen bey, ... Ob und wie etwas davon zu brauchen
ist, werden Sie beurteilen. Auf alle Fälle lassen Sie diese wunderlichen
Hefte liegen, bis wir uns nochmals darüber besprochen haben." Schon
einen Tag später bekundet Schiller als Dichter und Arzt sein Mitgefühl
mit Lenz. |
Schiller hat aus mehreren "Heften" eine schmale Auswahl getroffen:
Im 4. und 5. Heft der "Horen" von 1797 brachte er das Prosafragment "Der
Waldbruder". Für den "Musen-Almanach 1798" entschied sich Schiller
für das Dramolett "Tantalus" sowie das berühmte Gedicht "Die Liebe
auf dem Lande". Aufällig ist, daß Schiller Texte wählte,
die Lenzens Weimarer Erfahrungen von 1776 thematisieren bzw. die Liebe zur
Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion besingen. Schiller aber hatte
kaum eine andere Wahl, denn Lenz in seiner wenig diplomatischen Art hatte
Goethe in der Regel gerade solche Texte geschenkt, die diesen peinlich berühren
mußten. Durch Schillers Engagement sind heute wesentliche Texte Lenzens
bekannt, auch wenn die hier erwähnten merkwürdigerweise handschriftlich
nicht überliefert sind.
... die Lenziana, soweit ich bis jetzt hinein gesehen, enthalten sehr tolles Zeug, aber die Wiedererscheinung dieser Empfindungsweise zu jetzigen Zeiten wird sicherlich nicht ohne Interesse sein, besonders da der Tod und das unglückliche Leben des Verfassers allen Neid ausgelöscht hat, und diese Fragmente immer einen biographischen und pathologischen Wert haben müssen.
Schiller an Goethe am 17. Januar 1797
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DIE LIEBE AUF DEM LANDE Ein wohlgenährter Kandidat Der nie noch einen Fehltritt tat, Und den verbotnen Liebestrieb In lauter Predigten verschrieb, Kehrt einst bei einem Pfarrer ein, Den Sonntag sein Gehülf zu sein. Der hatt' ein Kind, zwar still und bleich Von Kummer krank, doch Engeln gleich Sie hielt im halberloschnen Blick Noch Flammen ohne Maß zurück, All itzt in Andacht eingehüllt, Schön wie ein marmorn Heiligenbild. War nicht umsonst so still und schwach, Verlaßne Liebe trug sie nach. In ihrer kleinen Kammer hoch Sie stets an der Erinnrung sog An ihrem Brotschrank an der Wand Er immer, immer vor ihr stand, Und wenn ein Schlaf sie übernahm Im Traum er immer wieder kam. Für ihn sie noch ihr Härlein stutzt, Sich, wenn sie ganz allein ist, putzt, All ihre Schürzen anprobiert Und ihre schönen Lätzchen schnürt, Und von dem Spiegel nur allein Verlangt er soll ein Schmeichler sein. Kam aber etwas Fremds ins Haus So zog sie gleich den Schnürleib aus, Tat sich so schlecht und häuslich an, Es übersah sie jedermann. Zum Unglück unserm Pfaffen allein Der Lilie Nachtglanz leuchtet ein, Obschon sie matt am Stengel hing. Früh eh er in die Kirche ging Er sehr eräschert zu ihr trat |
Und sie - um ein Glas Wasser bat - Denn laut er auf der Kanzel schreit Man hört ihn auf dem Kirchhof weit Und macht solch einen derben Schluß Daß Alt und Jung noch weinen muß, Und der Gemeinde Sympathie Ergriff zu allerletzt auch sie - 's ging jeder wie gegeißelt fort - Der Kandidat ward Pfarr am Ort. Obs nun die Dankbarkeit ihm tat, Ein's Tags er in ihr Zimmer trat, Sehr holde Jungfrau, sagt er ihr, Ihr schickt Euch übel nicht zu mir. Ihr seid voll Tugend und Verstand, Ihr habt mein Herz, da nehmt die Hand - Sie sehr erschrocken auf den Tod Ward endlich einmal wieder rot, "Ach lieber Herr - - mein Vater - ich - Ihr findet Bessere als mich Ich bin zu jung - ich bin zu alt - " Der Vater kroch hinzu und schalt, Und kündigt Stund und Tag und Mann Ihr mit gefaltnen Händen an. Wer malet diesen Kalchas mir Und dieses Opfers Blumenzier, Wie's vorm Altar am Hochzeittag In seiner Mutter Brautkleid lag, Wie's unters Vaters Segenshand Mehr litt als es sich selbst gestand; Wie's dumpf, nur ahndend seine Pflicht Entzog den Qualen sein Gesicht, Und tausend Nattern in der Brust Zum Dienste ging verhaßter Lust. |
Ach Männer, Männer seid nicht stolz Als wärt nur ihr das grüne Holz, Der Weiber Güt' und Duldsamkeit Ist grenzenlos wie Ewigkeit. Sie fand an ihrem Manne nun All seinem Reden, seinem Tun An seiner plumpen Narrheit gar Noch was das liebenswürdig war Sie dreht' und rieb so lang dran ab, Bis sie ihm doch ein Ansehn gab, Und wenn's ihr unerträglich kam Nahm sie's als Zucht - für ihren Gram. Ihr einzig Gut auf dieser Welt Der Engel noch für Sünde hält. Dem Mann gelind, sich selber scharf Sie - Gott - nicht einmal weinen darf, Sie kommt und bringt ihr Auge klar Als sein geraubtes Gut ihm dar, Und wenn er schilt und brummt und knirrt Ihr leichter um das Herze wird, Doch wenn er freundlich herzt und küßt Für Unruh sie des Todes ist. Denn immer, immer, immer doch Schwebt ihr das Bild an Wänden noch, Von einem Menschen, welcher kam Und ihr als Kind das Herze nahm. Fast ausgelöscht ist sein Gesicht, Doch seiner Worte Kraft noch nicht Und jener Stunden Seligkeit Ach jener Träume Würklichkeit Die, angeboren jedermann, Kein Mensch sich würklich machen kann. |
J.M.R. Lenz, erschienen im Musen-Almanach 1798 | |||
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