"Ich aber werde dunkel sein..." Leben und Werk des Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)

Es ist wenig bekannt, daß Friedrich Schiller mehrfach Interesse für Lenz bekundete. Als Herausgeber der "Horen" und des "Musen-Almanachs" mußte er bestrebt sein, seinen Lesern regelmäßig literarische Neuigkeiten zu präsentieren. Am 25. April 1796 bat er Cotta, für ihn in Leipzig die Stücke "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" zu besorgen. Dieser Wunsch zeigt, daß Schiller über Lenz im Bilde war, denn er ließ sich nicht irgendwelche Texte kommen, sondern dessen bedeutendste Dramen. Die Lektüre mußte ihn zu der Absicht geführt haben, künftighin weitere Werke des vor wenigen Jahren verstorbenen Autors vorzustellen. So wandte er sich am 17. Januar aus Jena an Goethe: "Fällt Ihnen etwas von der Lenzischen Verlassenschaft in die Hände, so erinnern sie sich meiner. Wir müssen alles was wir finden, für die 'Horen' zusammenraffen." Goethe reagierte schnell, auch wenn er versuchte, Schiller von seiner Lenz-Euphorie abzubringen. Am 1. Februar hieß es beiläufig: "Auch einige Lenziana liegen bey, ... Ob und wie etwas davon zu brauchen ist, werden Sie beurteilen. Auf alle Fälle lassen Sie diese wunderlichen Hefte liegen, bis wir uns nochmals darüber besprochen haben." Schon einen Tag später bekundet Schiller als Dichter und Arzt sein Mitgefühl mit Lenz.

  Schiller hat aus mehreren "Heften" eine schmale Auswahl getroffen: Im 4. und 5. Heft der "Horen" von 1797 brachte er das Prosafragment "Der Waldbruder". Für den "Musen-Almanach 1798" entschied sich Schiller für das Dramolett "Tantalus" sowie das berühmte Gedicht "Die Liebe auf dem Lande". Aufällig ist, daß Schiller Texte wählte, die Lenzens Weimarer Erfahrungen von 1776 thematisieren bzw. die Liebe zur Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion besingen. Schiller aber hatte kaum eine andere Wahl, denn Lenz in seiner wenig diplomatischen Art hatte Goethe in der Regel gerade solche Texte geschenkt, die diesen peinlich berühren mußten. Durch Schillers Engagement sind heute wesentliche Texte Lenzens bekannt, auch wenn die hier erwähnten merkwürdigerweise handschriftlich nicht überliefert sind.

... die Lenziana, soweit ich bis jetzt hinein gesehen, enthalten sehr tolles Zeug, aber die Wiedererscheinung dieser Empfindungsweise zu jetzigen Zeiten wird sicherlich nicht ohne Interesse sein, besonders da der Tod und das unglückliche Leben des Verfassers allen Neid ausgelöscht hat, und diese Fragmente immer einen biographischen und pathologischen Wert haben müssen.
Schiller an Goethe am 17. Januar 1797

DIE LIEBE AUF DEM LANDE

Ein wohlgenährter Kandidat
Der nie noch einen Fehltritt tat,
Und den verbotnen Liebestrieb
In lauter Predigten verschrieb,
Kehrt einst bei einem Pfarrer ein,
Den Sonntag sein Gehülf zu sein.
Der hatt' ein Kind, zwar still und bleich
Von Kummer krank, doch Engeln gleich
Sie hielt im halberloschnen Blick
Noch Flammen ohne Maß zurück,
All itzt in Andacht eingehüllt,
Schön wie ein marmorn Heiligenbild.
War nicht umsonst so still und schwach,
Verlaßne Liebe trug sie nach.
In ihrer kleinen Kammer hoch
Sie stets an der Erinnrung sog
An ihrem Brotschrank an der Wand
Er immer, immer vor ihr stand,
Und wenn ein Schlaf sie übernahm
Im Traum er immer wieder kam.
Für ihn sie noch ihr Härlein stutzt,
Sich, wenn sie ganz allein ist, putzt,
All ihre Schürzen anprobiert
Und ihre schönen Lätzchen schnürt,
Und von dem Spiegel nur allein
Verlangt er soll ein Schmeichler sein.
Kam aber etwas Fremds ins Haus
So zog sie gleich den Schnürleib aus,
Tat sich so schlecht und häuslich an,
Es übersah sie jedermann.
Zum Unglück unserm Pfaffen allein
Der Lilie Nachtglanz leuchtet ein,
Obschon sie matt am Stengel hing.
Früh eh er in die Kirche ging
Er sehr eräschert zu ihr trat


Und sie - um ein Glas Wasser bat -
Denn laut er auf der Kanzel schreit
Man hört ihn auf dem Kirchhof weit
Und macht solch einen derben Schluß
Daß Alt und Jung noch weinen muß,
Und der Gemeinde Sympathie
Ergriff zu allerletzt auch sie -
's ging jeder wie gegeißelt fort -
Der Kandidat ward Pfarr am Ort.

Obs nun die Dankbarkeit ihm tat,
Ein's Tags er in ihr Zimmer trat,
Sehr holde Jungfrau, sagt er ihr,
Ihr schickt Euch übel nicht zu mir.
Ihr seid voll Tugend und Verstand,
Ihr habt mein Herz, da nehmt die Hand -
Sie sehr erschrocken auf den Tod
Ward endlich einmal wieder rot,
"Ach lieber Herr - - mein Vater - ich -
Ihr findet Bessere als mich
Ich bin zu jung - ich bin zu alt - "
Der Vater kroch hinzu und schalt,
Und kündigt Stund und Tag und Mann
Ihr mit gefaltnen Händen an.
Wer malet diesen Kalchas mir
Und dieses Opfers Blumenzier,
Wie's vorm Altar am Hochzeittag
In seiner Mutter Brautkleid lag,
Wie's unters Vaters Segenshand
Mehr litt als es sich selbst gestand;
Wie's dumpf, nur ahndend seine Pflicht
Entzog den Qualen sein Gesicht,
Und tausend Nattern in der Brust
Zum Dienste ging verhaßter Lust.


Ach Männer, Männer seid nicht stolz
Als wärt nur ihr das grüne Holz,
Der Weiber Güt' und Duldsamkeit
Ist grenzenlos wie Ewigkeit.
Sie fand an ihrem Manne nun
All seinem Reden, seinem Tun
An seiner plumpen Narrheit gar
Noch was das liebenswürdig war
Sie dreht' und rieb so lang dran ab,
Bis sie ihm doch ein Ansehn gab,
Und wenn's ihr unerträglich kam
Nahm sie's als Zucht - für ihren Gram.

Ihr einzig Gut auf dieser Welt
Der Engel noch für Sünde hält.
Dem Mann gelind, sich selber scharf
Sie - Gott - nicht einmal weinen darf,
Sie kommt und bringt ihr Auge klar
Als sein geraubtes Gut ihm dar,
Und wenn er schilt und brummt und knirrt
Ihr leichter um das Herze wird,
Doch wenn er freundlich herzt und küßt
Für Unruh sie des Todes ist.

Denn immer, immer, immer doch
Schwebt ihr das Bild an Wänden noch,
Von einem Menschen, welcher kam
Und ihr als Kind das Herze nahm.
Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,
Doch seiner Worte Kraft noch nicht
Und jener Stunden Seligkeit
Ach jener Träume Würklichkeit
Die, angeboren jedermann,
Kein Mensch sich würklich machen kann.
J.M.R. Lenz, erschienen im Musen-Almanach 1798


[Start] [Übersicht] [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22]
[Literatur] [Links] [Impressum]

zur Startseite